Bauplatz: Zwischennutzungsfläche Seestadt Aspern

Projektteam: Gerhard Scherbaum, Paul Adrian Schulz und Sprungbrett Aspern Kerngruppe

Zeitraum: 09/2011 – jetzt

Kosten: ca. 4700 Euro

Abmessungen: Breite 5,50 m x Länge 5,70 m (Breite 5,50 m x Länge 8,10 m über Terrassen)

Nutzfläche: 22 m² + 10 m² (Zwischenebene)

 

Das Kettenlinienhaus war das erste große experimentelle Bauprojekt am Sprungbrett Aspern und ist bis heute auch das größte. Mit ihm wollten wir beweisen, dass mit den Mitteln des einfachen gemeinsamen Selberbauens ein unschlagbar kostengünstiges Gebäude errichtet werden kann, das in Hinblick auf Energieverbrauch und Behaglichkeit die Standards eines zeitgemäßen Niedrigenergiehauses erreicht und zugleich schon während des Bauprozesses umweltschonend und ressourceneffizient ist. Dazu sollte beim Kettenlinienhaus auch die Graue Energie, also die in den Baumaterialien gebundene, bei Produktion und Transport verbrauchte Energie minimiert werden, weshalb wir es aus nachwachsenden Rohstoffen: Strohballen, aus Aushub von vor Ort: Lehm und aus Recyclingmaterialien: Holzbretter, gebrauchte Doppelglasscheiben uvm. errichteten.

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Unser Ziel war ein mit natürlichem Lehm verputztes Strohballenhaus, da mit Strohballen als Dämmstoff exzellente Dämmwerte erreicht werden, zum Teil so gute, dass Heizen im Winter überflüssig wird. Zuerst hatten wir ein Haus in Form eines A-Frames, also eine Art Nurdachhaus in Dreiecksform mit Zwischenebene geplant. Da wir aber günstig drei LKW-Ladungen zölliger Bretter gebraucht erstehen konnten, schien es uns logisch, keine langen teuren Sparren neu zu kaufen, sondern eine Konstruktionsweise zu suchen, bei der aus kleinteiligen Brettern dennoch ein großer tragender Rahmen gebaut werden kann. Deshalb entschieden wir uns für Fachwerkbinder, die einerseits aufgrund der Statik andererseits wegen des so zu erzielenden größeren Innenraums nun in Form einer Kettenlinie geplant und gezimmert wurden. Eine Kettenlinie ist der Kurvenverlauf, der sich durch die Erdanziehungskraft ergibt, wenn eine Kette zwischen zwei Punkten aufgehängt wird. Sie kommt z.B. bei vielen Hängebrücken vor, außerdem machte sie sich der spanische Architekt Antoni Gaudi in ungekehrter Form zunutzte, so wie wir es mit unseren Fachwerkbindern nun auch taten. Auf einer Länge von 5,70 m – mit auskragenden Vordächern zum Sonnen- und Wetterschutz sind es 8,10 m – überspannen acht Binder das 5,5 m breite Gebäude, wobei die Binderabstände sich nach der Breite von Strohballen richten, die sowohl als Wand als auch als Dämmstoff fungieren – beim Einbau konnten wir auf die Unterstützung Herbert Grubers vom Österreichischen Strohballennetzwerk zählen. Als Fundament dienen mit Asperner See-Kies gefüllte alte Autoreifen des hier am Flugfeld früher gelegenen Verkehrsübungsplatzes, die wir noch im Gesträuch fanden. Sie ruhen auf dem Asphalt der ehemaligen Start- und Landebahn und tragen die Pfosten der unterlüfteten Bodenplatte, die einige Zentimeter von der Erde abgehoben ist und bilden die Basis, auf welcher die Fachwerkbinder stehen. Auch beim Kettenlinienhaus handelt es sich um ein Nurdachhaus, so ist das gesamte Haus längs zur Binderrichtung mit Brettern beplankt, die auf diese Weise eine hinterlüftete Dachhaut bilden. Die Vorder- und Rückseite des Gebäudes hingegen sind durch je eine große Fensterfront aus Pfosten und rahmenlosen Isolierglasscheiben geschlossen, die mittels neu gekaufter Kompri- und Vorlegebänder nach neuesten technischen Standards eingebaut, gedämmt und abgedichtet sind. So kann durch eine intelligente Kombination von Recyclingmaterialien einerseits und Hightech-Produkten andererseits hohe Qualität und Nachhaltigkeit mit geringen Kosten erzeugt werden. Die Strohballenwände sind innen wie außen mit Lehm verputzt, so dass die Strohballen vor Feuchtigkeit und Feuer geschützt sind, hierbei holten wir uns die professionelle Hilfe Karl Auers von der Firma Lehm Austria. Innenseitig im Lehm eingeputzt befindet sich die mit Unterstützung Wieland Mosers vom Technischen Büro Käferhaus konstruierte Bauteil-Wandheizung, die mit einem Biomeiler betrieben werden soll und die für ein hervorragendes Raumklima und eine ausgezeichnete Behaglichkeit sorgt. Auch die Bodenplatte ist mit Strohballen gedämmt, die mit einem Lehmschlag und einem schwimmenden Nut- und Feder-Bodenbelag bedeckt sind. In dem großen kettenlinienförmigen Raum befindet sich außerdem eine Zwischenebene, die den Raum partiell in den unteren Gemeinschaftsbereich und die obere Kuschelebene unterteilt.

 

Seit der Einweihung erfreut sich das Kettenlinienhaus großer Beliebtheit. Reizvoll sind die Ausblicke, die man durch die beiden großen Fensterfronten auf den Gemeinschaftsplatz am Sprungbrett nach Süden und die Weite des Asperner Flugfeldes nach Norden genießt, wenn die Nachmittagssonne den Raum durchstreift und die warmen erdfarbenen Töne zum Leuchten bringt oder in den Abendstunden die U2 wie ein leuchtender Wurm am Horizont vorbeizieht. Auch die Einrichtung trägt dazu bei, sich in diesem hellen atmosphärischen Raum wohlzufühlen. Mit diversen liebevoll zusammengesammelten Teppichen ausgelegt und ringsum mit aneinandergereihten Sofapolstern eingerahmt, entsteht eine gemütliche, ein wenig arabisch anmutende Sitzgruppe, die bei Sitzungen von Kerngruppe und Verein Architektur, Umgebung und Menschen miteinander verschmelzen lässt.

 

 

 

  • Date
    8. Juli 2015
    Bauplatz: Zwischennutzungsfläche Seestadt Aspern Projektteam: Gerhard Scherbaum, Paul Adrian Schulz und Sprungbrett Aspern Kerngruppe Zeitraum: 09/2011 – jetzt Kosten: ca. 4700 Euro Abmessungen: Breite 5,50 m x Länge […]